«Auch wenn ich heute vieles, was ich gelernt habe, nicht mehr brauche, ich möchte es nicht missen.»

Seit 2020 wirkt Matías Lanz an der Schola Cantorum Basiliensis als Dozent für das Pflichtfach Cembalo und Generalbass und unterrichtet als Cembalo-Lehrer an der Musikschule. Die Verbindung zu Winterthur – wo Matías heute noch wohnt – ist eng geblieben. In Veltheim, Zell und Kollbrunn spielt Matías die Orgel in der reformierten Kirche, und als Musiker tritt er in verschiedenen Formationen auf wie dem Cardinal Complex, den er zusammen mit Musiker-Freunden 2017 mitbegründet hat.

Wie eben bekannt wurde: Matías Lanz hat den Förderpreis 2021 der Stadt Winterthur verliehen bekommen.

 

Einleitend möchte ich Dir drei Fragen stellen, die Du möglichst kurz beantworten sollst: Rock oder Barock?

Barock … aber Rock finde ich auch cool, damit bin ich zuhause aufgewachsen.

Klavier oder Cembalo?

Cembalo – ohne Zögern; dann, nach einer kurzen Pause – … aber Klavier, wenn ich Tango spiele. Du weißt ja, meine Mutter stammt aus Argentinien.

Musik oder Literatur?

Da kann ich mich nicht entscheiden, das eine ohne das andere geht nicht. Ohne Literatur möchte ich nicht leben, aber ohne Musik könnte ich es wohl nicht.

Beginnen wir mit einem Rückblick ans Rychenberg: Gibt es Fächer oder Lehrer, die Dich besonders geprägt haben?

Deutsch, Englisch und Spanisch … wegen den Persönlichkeiten, die das Fach unterrichtet haben. Ich hatte charakterstarke, interessante Lehrer – in einem altmodischen Sinn –, die ich sehr geschätzt habe. Bis heute pflegen wir eine freundschaftliche Beziehung. Ja, wir sind Freunde geworden.

Musiker sind ja oft Nomaden und reisen für Konzerte oder Meisterkurse durch ganz Europa. Gibt es eine Lingua franca unter den Musikern?

Ja, sicher das Englische. Aber ich profitiere allgemein sehr von den Sprachkenntnissen, die ich am Rychenberg erwerben konnte. Und natürlich auch davon, dass ich zweisprachig, deutsch und spanisch, aufgewachsen bin.

An der Schola unterrichte ich in fünf Sprachen: deutsch und schweizerdeutsch, spanisch, englisch, französisch, und ich radebreche auch etwas italienisch. Unsere Studenten kommen aus aller Herren Länder, Cuba, Costa Rica, Italien, Slowenien, Spanien, Israel … Oesterreich und den USA. Mit meinem Kollegen Hopkinson Smith spreche ich übrigens argentinisches Spanisch, was er perfekt – wie seine Laute – beherrscht.

Seit 2020 unterrichtest Du in Basel als Dozent an der Schola Cantorum das Fach Generalbass, was muss ich mir darunter vorstellen?

Der Begriff ist weitgefasst … Es ist eine Art des Begleitens, aber auch eine musikalische Kurznotation, vergleichbar mit der Akkord-Symbolik im Jazz … Und es ist ein theoretisches Gerüst, das die ganze barocke Kompositionslehre bis etwa 1800 umfasst.

Müssen sich vor allem die Cembalisten damit auskennen, oder gibt es weitere Instrumente, die sich für den Generalbass – den basso continuo – eignen?

Für den Generalbass eignen sich alle Instrumente, die Akkorde spielen können, also Tasten- und Zupfinstrumente wie Theorbe oder Harfe, auch die Gambe gehört dazu.

Du besitzt zwei Cembali, die Du in Konzerten spielst.

Und es sind zu wenige! Ich brauche sie, weil sie unterschiedlich klingen. Cembali waren zu verschiedenen Zeiten an verschiedenen Orten sehr unterschiedlich gebaut, weshalb man das Instrumentarium dem Repertoire anpassen muss – oder umgekehrt!

Mit seiner legendären Orfeo-Aufführung in Zürich hat Nikolaus Harnoncourt vor über 40 Jahren die Barock-Musik bzw. die historische Aufführungspraxis revolutioniert –

… und einem breiten Publikum erschlossen …

Wie klingt barocke Musik heute?

Einerseits hat sich die Spieltechnik sehr stark weiterentwickelt, das Spiel ist viel virtuoser. Die barocke Musik hat nicht mehr den Ruf, etwas verstaubt zu sein. Der Klang ist viel dynamischer, satter und auch rhythmischer, als auf alten Aufnahmen zu hören ist.

Wichtig scheint mir, dass der Forschergeist, den wir Leuten wie Harnoncourt, Gardiner, Kuijken oder Brüggen verdanken, nicht verloren gehen darf. Hier sehe ich eine Herausforderung für junge Musiker: Aus den Quellen die historische Aufführungspraxis neugierig weiterentwickeln zu wollen. Neue Wege, Klangfarben erproben und vergessene Kompositionen wiedererwecken.

Zurück zum Gymi. Das Rychenberg ist ein allgemeinbildendes humanistisches Gymnasium, welche Fächer haben Dich auf das Musiker-Dasein vorbereitet?

Das war natürlich Musik. Und alle Sprachfächer; aber auch Geschichte ist für das Verständnis von Musik wichtig.

Kommen wir zur Mathematik und Physik. Der barocke Titel „Pythagorisches Schmids Füncklein“ – ein Werk von Rupert Ignaz Mayr – spielt auf die Legende an, wonach Pythagoras in einer Schmiede die Harmonie von Intervallen erkannt habe. Wie wichtig sind MINT-Fächer, um Stimmungen, Harmonien oder auch Rhythmen zu verstehen, die im Barock wie im Jazz ja ziemlich komplex sein können?

Für mich ist es die Frage nach dem Huhn und Ei … Haben mich Stimmungssysteme nie besonders interessiert, weil ich eine MINT-Niete bin, oder umgekehrt…? Auf jeden Fall ist das ein sehr spezielles Interesse, das besonders für Instrumentenbauer wichtig ist. Als Musiker betrifft es mich persönlich weniger.

Was muss ein Maturand oder eine Maturandin wirklich mitbringen, wenn er oder sie Musik studieren will?

Auch wenn es kitschig klingt, Leidenschaft. Und Offenheit … für Kammermusik, für Komposition, fürs Unterrichten. Als Musiker beginnt man normalerweise mit einem Instrument, das ist das Ticket, um reinzukommen. Dann breiten sich all die Möglichkeiten aus …

Wenn Du an Deine Zeit am Gymnasium zurückdenkst, welche Bilder prägen Deine Erinnerungen ans Rychenberg?

Sehr schöne Erinnerungen habe ich an die Mensa, an das Mensa-Team. Ich ging dort immer gern essen, auch heute schaue ich noch ab und zu vorbei.

Was mich auch beeindruckte: Nach der Primarschule plötzlich einen Experten in jedem Fach zu haben. Und das breite Angebot der unterrichteten Fächer. Auch wenn ich heute vieles, was ich gelernt habe, nicht mehr brauche, ich möchte es nicht missen.

Hast Du noch Kontakt zu Deinen Mitschülern?

Ja, oft. Wir waren eine sehr spezielle Klasse mit einem starken Zusammenhalt. Mit einigen treffen wir uns regelmäßig einmal im Monat, oft auch wöchentlich. Spannend ist, was aus uns geworden ist. Wir sind Juristen, Ingenieure, Sprachwissenschaftler, Soziologen, Biologen, Ärzte … nicht nur Musiker.